Überblickskommentar
Grundgedanke: Thema des Gedichtes ist der seelenlose Umgang des Menschen mit dem Tier, der nicht nur die Zerstörung des Planeten, sondern auch die seiner eigenen Seele zur Folge hat.
Die erste und die letzte Versgruppe schildert das Essverhalten der Konsumgesellschaft. Die 2. und die 8. VG beschreiben einen Transformationprozess, nach Galen den von Materiellen in geistiges Licht (Seele) und nach Alkmaion den der Befreiung der Seele aus dem sterblichen Körper. Auch die 3. VG lehrt Kosmisch die Umwandlung von Apfel und Ähre in geistiges Licht, das aber in der Gegenwart durch die Technik verdunkelt wird (VG 4). Das lyrische Ich bitte den Abendstern um Beistand, wenn seine Seele vor dem Weltenrichter erscheinen muss (VG 5). VG 6 und 7 schildern die brutal ökonomische Nutzung der Tiere und prophezeien den Untergang der Menschheit.
Steaks kriegen wir bloß oder Mickergramm Hack
Gaumenbetrug und
5
Rund tausend Volltiere leider
10Sagt schon Galen aus niederen
Nährstoffen hinauf wandelt in geistiges Licht
Was
Kosmisch mit Artunterschieden
15Und Abendstern lehren
Seit GROSSILLUMINATIONEN aus Halogen
Seit Animierflimmern die Leitzeichen
Am
20
Dass es die Nacht durchhellt leuchten
Wenn dem Weltenrichter überführt
Mein Stern verfällt mit leeren
25Von SCHLACHTHÖFEN kontrolliert
Ob all die Rinder d.h. momentan
Einskommadrei Milliarden ob sie die Investition
Aus Penicillin Hormonen und Tranquillizern
30Globalgewicht mit ihrem wie anvisiert
Zehnfachen demnächst in die Senkgrube zu reißen
Was schon Alkmaion ausführte
35Den zu verbinden mit also wo er dann endet
Wenn die unser Standarddinner-
For-Ten-Planets eröffnen
Füglich auch sollten wirs richtig mit
40Leckerdessert aus lau abgelöschten
Mopshoden an frischem
Blutstrudel krönen
Stellenkommentar:
Titel: Gemeint ist der Kreislauf der Tiere (durch den Magen der Menschen) und der Kreislauf der Menschen zwischen Geburt und Tod. Die Anspielung auf die Tierkreiszeichen (Zodiak) fügt dem Kreissymbol eine weitere Bedeutung hinzu (vgl. zu v.32ff).
v.1: Die Spitzenstellung des Nicht mehr zeigt, dass der moderne Mensch den ganzheitlichen Blick auf die Natur – und hier speziell seine Identifikation mit dem Tier – verloren hat. Angespielt wird auf den Begriff ‚Augenweide‘ als Ausdruck für einen sehr schönen und wohltuenden Anblick. Im Hintergrund steht der Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue“. In diesem Sinne bedeutet das Nicht mehr, dass der moderne Mensch den spirituellen Zusammenhang mit der Schöpfung zerstört hat.
v.2ff: Weil die Tiere nur zerstückelt konsumiert werden (quadratzentimeterklein und Mickergramm), fällt der Fleischesser einem Gaumenbetrug anheim. Das Zerstückeln verschleiert die Voraussetzungen und das wahre Ausmaß seines Konsums: die Tötung der Tiere und den Verlust der Ganzheit. Die zerstückelte Syntax der 1. Versgruppe spiegelt den Verlust der Ganzheit wider.
v.2 vergiss es: Mit dem Einwurf vergiss es betont das lyrische Ich, dass der ganzheitliche Zusammenhang unwiderruflich verschwunden ist.
v.4 krass: Dieser Ausdruck der Jugendsprache (für ‚extrem schön‘, aber auch ‚extrem schlecht‘) reflektiert den ironischen Blick des lyrischen Ich auf das Verzehrverhalten der Gegenwart.
v.4f weil / …: Die heute immer üblicher werdende Fortführung des mit weil eingeleiteten Nebensatzes als Hauptsatz spiegelt mit seinem Verstoß gegen die Grammatik den Bruch zwischen dem modernen Menschen und dem Tier als Teil der Schöpfung.
v.5ff: Gemäß einer Statistik des BUND konsumiert jeder Deutsche so über die Jahre (im Laufe seines Lebens) Rund tausend Volltiere, wenn man die zerstückelten Tierteile (vgl. v. 1-4) zusammenrechnet.
v.7 Inkognito: Eigentlich bezieht sich der Ausdruck auf die Geheimhaltung des wahren Namens bzw. der Identität einer Person. Hier aber ist er ironisch bezogen auf die Selbsttäuschung der Carnivoren.
v.8 Subfeldgebrauchsobjekte: Gemeint sind die in der vorhergehenden Versgruppe zerhackstückten Tiere, die heute nur noch gebrauchsobjekte sind und nicht mehr wie in der traditionellen Tierhaltung auf dem feld (weidend v.1) gehalten werden, sondern in Massentierhaltungsanlagen auf kleinstem Raum, sozusagen auf ‚Subfeldern‘ gehalten werden. Das Wortungetüm spiegelt die Perversion dieser Tierhaltung.
v.8 versteht sich: Die ironische Floskel signalisiert das klammheimliche Einverständnis des Carnivoren mit den Bedingungen der Massentierhaltung.
v.9ff: Galenos von Pergamon, * zwischen 128 und 131; † zwischen 199 und 216, war ein vorwiegend in Rom tätiger griechischer Arzt und Anatom. Galen gilt als einer der bedeutendsten Ärzte des Altertums, dessen umfassende Lehre für 1500 Jahre die gesamte Heilkunde beherrschte. In seinem Kommentar zu Platons Timaios bespricht er die fortlaufende Umwandlung der Elemente in der Nahrungskette: Die Pflanzen entnehmen ihre Bestandteile direkt den ‚unreinen‘ Elementen, in Körpern von Tieren werden diese Pflanzen in Organismen verwandelt. Von diesen ernährt sich der Mensch und verwandelt dadurch die Organismen in geistiges Licht.
v.12: Apfel und Ähre stehen für die Umwandlung von niederen Nährstoffen in die Symbole der griechischen Göttinnen Aphrodite und Ceres. Sie lehren Kosmisch also die Umwandlung in geistiges Licht. In den Artunterschieden von Apfel und Ähre könnte sich sich auch die Essenz des Alten und Neuen Testaments offenbaren: Apfel (Sündenfall) und Ähre (Auferstehung, s. Joh. 12,24 „Es sei denn dass das Weizenkorn (Ähre) in die Erde falle und ersterbe, so bleibt’s allein; wo es aber erstirbet, so bringet’s viel Früchte.“ Jesus bezeichnet sich hier selbst als das Weizenkorn.)
v.14f: Bis zur Entdeckung, dass der Planet Venus sowohl der Morgen- als auch der Abendstern ist, wurden zwei Sterne angenommen, die man als Phosphoros (altgr. ‚Lichtbringer‘) und Hesperos (altgr. ‚Abend‘) bezeichnete. Im Christentum wird Jesus häufig als Morgenstern, als Lichtbringer bezeichnet, in seiner Funktion als Weltenrichter (v.22) erscheint er dann als Abendstern. In Wagners Tannhäuser soll der Abendstern die Seele Elisabeths in den Himmel geleiten, damit sie bei Maria um Erlösung für Tannhäuser bitten kann (Vgl. dazu auch zu v.20ff).
v.16 Obzwar …: Wieder wird der Nebensatz als Hauptsatz fortgeführt (vgl. dazu zu v.4f).
v.16ff: Die Leitzeichen (Sterne als Orientierungsystem für die Menschen) werden in den modernen Großstädten durch großflächige Halogenbeleuchtung der Städte (GROSSILLUMINATIONEN) und die Reklametafeln der Amüsierboulevards (Animierflimmern) überstrahlt: Das Licht der Technik verdunkelt den Einfluß des Göttlichen.
v.19 Firmament: Das Firmament (das Himmelsgewölbe) bezeichnet in den frühen Weltbildern den über der Erde gelegenen Teil des Kosmos.
v.19 ach: In Heinrich von Kleists Drama „Amphitryon“ ist das berühmte letzte Wort Alkmenens „Ach!“. Mit diesem Ausdruck des schmerzlichen Bedauerns offenbart sie, dass sie ihre frühere Gewissheit, zwischen Mensch (Amphitryon) und Gott (Jupiter/Amphitryon) unterscheiden zu können, verloren hat. Das lyrische Ich ist sich allerdings – im Gegensatz zu den meisten modernen Menschen – der göttlichen Anwesenheit sicher, wie die folgenden vier Verse zeigen.
v.20ff: Angesichts des Todes (Mein Stern verfällt) bittet das lyrische Ich den Abendstern (Lass dein mildes Angesichte Stern) um Beistand, wenn es vor dem Weltenrichter erscheinen muss.
v.23f mit leeren / Ertragskonten: Die Überleitung in die Ökonomie erfolgt über den Weltenrichter (v.22), vor dem die Seele gewogen und Bilanz gezogen wird. Der ökonomische Ertrag hat am jüngsten Tag kein Gewicht, die -konten sind sozusagen leer.
v.24ff: Das Thema ‚Fleischkonsum‘ wird wieder aufgenommen und durch das Töten der Tiere in den SCHLACHTHÖFEN mit dem Jüngsten Gericht für die Menschen parallelisiert.
v.29 AKKUMULATIV: Akkumulation (von lateinisch accumulare, „anhäufen“) ist in der Ökonomie die durch Reinvestition des auf dem Markt realisierten Mehrwerts vorangetriebene Erweiterung des Kapitals.
v.29ff: Das lyrische Ich befürchtet, dass die beabsichtige (anvisiert) Verzehnfachung des Rinderbestandes die Menschheit (das humane / Globalgewicht) in den Untergang führt (in die Senkgrube zu reißen). In der Senkgrube wurden früher Tierkadaver entsorgt. Das humane / Globalgewicht dient als zynische Metapher für eine inhumane Menschheit, in der der Einzelne jährlich tausend Volltiere zerstückelt konsumiert (vgl. zu v.2ff).
v.32ff: Alkmaion war ein antiker griechischer Naturphilosoph im späten 6. und frühen 5. Jahrhundert v. Chr. Als Ursache für die menschliche Sterblichkeit gab Alkmaion an, dass die Menschen nicht in der Lage seien, „den Anfang mit dem Ende zu verbinden“ (im Gegensatz zur endlosen Kreisbewegung der Himmelskörper). Die Seele hingegen ist nach seiner Überzeugung zu ewiger Bewegung fähig und daher unsterblich.
v.34f: Der doppelte Satzbruch in diesem Vers spiegelt die unterbrochene Kreisbewegung (vgl. zu v.32ff) wider.
v.36ff: Das lyrische Ich knüpft wieder an das Essverhalten der Konsumgesellschaft an (vgl. VG 1). Seine Haltung steht im Gegensatz zum Report der EAT-Lancet Kommission, die für die zu erwartenden Ten Milliarden Menschen on our Planet (v.38) empfehlen, den Fleischkonsum erheblich zu reduzieren, weil sonst die Menschheit nicht mehr zu ernähren sei. Die vorgeschlagene Standarddinner-Abfolge mit der Vorspeise rosa Kochschinkenröllchen und dem Leckerdessert Mopshoden an frischem / Blutstrudel ist als zynischer Kommentar zu verstehen.