Isländisch Lied

Überblickskommentar:
 
Auf der konkreten Ebene stellt das lyrische Ich seine Freunde, Geothermie-Ingenieure auf Island, vor, in der 2. Strophe wird ein Wochenendausflug beschrieben, in der 3. die abendliche Rückkehr und in der 4. das Schlafen in überheizten Räumen. Die 5. Strophe verlässt die konkrete Ebene und zeigt die Besorgnis des lyrischen Ich um einen Herzfreund.
Angeregt wurde das Gedicht durch die Lektüre von Jared Diamonds Buch „Kollaps“, in dem die Besiedlung Islands durch die Wikinger geschildert wird. Island, heute fast völlig unbewaldet, verfügte früher auch über Waldgebiete. Die ersten Besiedler, die Wikinger, haben sie abgeholzt, um Bau- und Brennholz zu gewinnen. Für die deutschen Romantiker dagegen war der Wald ein numinoser Raum, der bei Eichendorff mitunter eine christliche Tönung annahm. In das Gedicht sind Anspielungen auf fünf Eichendorff-Gedichte eingebaut.
Auf der übertragenen Ebene parallelisiert das Gedicht den Raubbau, den die Wikinger an der Natur Islands betrieben, mit der heutigen Ausbeutung der Natur durch die Technik. Anhand der abgeänderten Eichendorff-Zitate wird der Verlust des numinosen Bezuges, der früher über die Natur hergestellt werden konnte, gezeigt. Der Missbrauch der Natur lässt das lyrische Ich fürchten, dass es nicht möglich ist, den Herzfreund, die Transzendenz, wieder zu erwecken.

Isländisch Lied


 
Die
Tundra
weit die Höhen
Abschied
Tuff Lava und Basalt

mehrheitlich
muss ich gestehen

sind meine Freunde halt
5
Geothermie
-Ingenieure auf Island
denn
ja sie
schätzen den
Nachbarschaftsplausch

über
terrestrische Wärmeströme

und wie man sie
dienstbar macht
in so
Röhren

10
ein kreislaufendes System

wer mitmacht muss nicht frieren

 
Und
sonntags
das ist ihre Freude
Heimweh
da rolln sie in
Rovern
quer

über die
radkompatible
Weite
15zur
Hauptkreuzung
wo ein paar
Birken

um sie den Kindern zu zeigen
und mir
:
Und an drei Stämmen
geschrieben
Abschied
mit stolzem ernstem Wort
steht wie
mühsam
mit ihnen Wärme einst war
20und wie behindert wären sie stehen geblieben
die Sicht für den
Jetztmensch
und
Fahrt
Frische Fahrt
 
Dann
brettern
sie heiter retour
unbesorgt um die Uhrzeit
mit launigem
Wer
Der Jäger Abschied
hat dir vieltausend Watt
25
aufmontiert
so hell da droben
dass selbst die
Sonne verblasst
:
Entrechtet lugt
die zuweilen noch
abwartend
über den Horizont
und hat sich vor
Groll
schon bald
30wieder
abgründig vergraben

von wo kaum ein
Restlicht
heraufkommt
 
So schlafen sie
mehrheitlich
wohl
und
wirds ihnen mal heiß
unversehens
sagt einer
keck zwinkernd
ich fühl
35es
herrscht
grad
Überdruck im
System

und
lockert gekonnt die Ventile

 
Wacht
aber ausgekühlt
ein
Herzfreund
mir nimmer auf
ich
40
weiß
nicht was ich soll –
Das zerbrochene Ringlein
möcht
in den Abgrund hauchen

doch steht der
Atem
still
 
 
Stellenkommentar:

Titel : Der Titel Isländisch Lied erinnert an ein Gedicht aus Günter Eichs Zyklus “Ziegeleien zwischen 1900 und 1910“: „Isländisch Moos, / ein Flüsterwort“ (4, 1f). Man könnte (auch wegen der fehlenden Flexion) an Goethes „Faust“: „Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied / Ein leidig Lied“ (v.2092f) denken, mit dem in Auerbachs Keller ein Loblied auf das Heilige Römische Reich abgebrochen wird. Daneben ist auch an die im Befreiungskríeg und im Vormärz häufiger auftretende Bezeichnung ‚Ein vaterländisch Lied‘ zu denken.

v.1 Tundra: baumlose Vegetationsform der Subpolargebiete, die auch auf Island vorkommt

v.1f: Verändert aufgenommen wird Eichendorffs Gedicht „Abschied“: „O Täler weit, o Höhen, / O schöner grüner Wald“ (I, 1-2).

v.2: Genannt sind drei vulkanische Gesteinsarten, die vermehrt auf Island vorkommen, weil die Insel vulkanischen Ursprungs ist.

v.3 mehrheitlich: i.e. ‚die meisten’ (meiner Freunde sind Geothermie-Ingenieure). mehrheitlich verweist auf einen politischen Zusammenhang und benennt das Grundprinzip demokratischer Entscheidungsprozesse. Damit wird das gesellschaftliche System der Zeit der Wikinger mit dem heutigen überlagert (Vgl. dazu Jetztmensch (v.21)). Implizit ist dieser politischen Vokabel hier eine Kritik an der Wahrheitsfindung in der Demokratie und am Umgang mit der Natur in modernen postdemokratischen Systemen.

v.3 muss ich gestehen: Umgangssprachliche Floskel, die dazu dient, das lyrische Ich als Gegenwartssprecher zu charakterisieren (so auch z.B. halt (v.4), ja (v.6) und in so Röhren (v.9)). Inhaltlich gibt es für das lyrische Ich eigentlich nichts zu ‚gestehen’, es sei denn, es fühlt sich wegen seines Umgangs mit seinen Freunden ‚schuldig’.

v.5 Geothermie: Die Geothermie oder Erdwärme ist die im zugänglichen Teil der Erdkruste gespeicherte Wärme; der Begriff bezeichnet die ingenieurtechnische Beschäftigung mit der Erdwärme und ihrer Nutzung. Geothermie zählt zu den regenerativen Energien. Island deckt mit Erdwärme und Wasserkraft 100 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen. Dieser positive Aspekt der Geothermie steht im Gegensatz zur Geschichte Islands, in der der Wald von den Wikingern abgeholzt worden ist (s. Überblickskommentar). Im täglichen Leben erweist es sich, dass die Erdwärme ausgesprochen preiswert ist. Sie wird geradezu verschwenderisch genutzt. So werden etwa manche Gehsteige in Reykjavík und Akureyri im Winter beheizt, indem man Leitungen, die immer etwas Wärme abgeben, unter Straßen und Gehsteigen verlegt. Auch wird die mehr als 40 km lange Verbindungsstraße von Reykjavík zum Flughafen Keflavík nachts durchgehend mit Straßenlaternen beleuchtet (vgl. dazu v.23ff).

v.6 denn: Die begründende Konjunktion ist hier auf den ersten Blick unsinnig. Auf einer nicht unmittelbar sichtbaren Ebene verweist sie aber auf den Zusammenhang von Geothermie-Ingenieure (v.5), Wärmeströmen (v.8) und Nachbarschaftsplausch (v.7).

v.7 Nachbarschaftsplausch: Der Ausdruck charakterisiert die Belanglosigkeit der Kommunikation.

v.8 terrestrische Wärmeströme: In der Geothermie werden verschiedene Wärmeströme (z.B. vulkanischen Ursprungs) aus dem Inneren der Erde genutzt. Im übertragenen Sinne ist der ‚main stream’ gemeint, der ein allgemeines Wohlbefinden durch übereinstimmende Ansichten erzeugt (s. auch v.11 wer mit macht muss nicht frieren).

v.9 dienstbar macht: ein aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwindender Begriff, der ein Herrschaftsverhältnis kennzeichnet. ‚Dienstbarkeit’ bedeutet eigentlich das Nutzungsrecht an einer fremden Sache, hier also, dass die Gesellschaft die Natur nutzt, ohne deren Eigentümer zu sein. Dies steht im Gegensatz zu einem numinosen Naturverhältnis.

v.9 Röhren: Im Zusammenhang mit dem Nachbarschaftsplausch ist unbedingt an kommunizierende Röhren zu denken.

v.10 ein kreislaufendes System: Zunächst scheint dies ein System zu sein, das auf einem Kreislauf (der Wärme) beruht, bei näherer Analyse zeigt sich aber, dass das System selber im Kreis läuft, also ziellos ist.

v.11: s.o. zu v.8

v.12ff: Verändert aufgenommen wird Eichendorffs Gedicht „Heimweh“: „Der Morgen, das ist meine Freude! / Da steig ich in stiller Stund / auf den höchsten Berg in die Weite“ (IV, 1ff).

v.12 sonntags: Früher der Tag des Herrn, verbunden mit dem Kirchbesuch, heute der für Zerstreuung und Autoausflüge. Demgemäß ist ein zentrales Thema der 2. Strophe das Autofahren.

v.13 Rover: Gemeint ist der Autotyp ‚Range Rover’. Dieser ist ein Geländewagen der Oberklasse, der Ende der 1960er Jahre entwickelt wurde. Der Range Rover war ein Wegbereiter für die heute so genannten SUV (Sports Utility Vehicles), überdimensionierte Wagen mit Allradantrieb und hohem Benzinverbrauch.

v.13 quer: anklingt die Vokabel ‚sich quer stellen’ in Sinne von sich verweigern (der christlichen Tradition und der Natur)

v.14 radkompatible: ‚kompatibel’ (von lateinisch compatior „Mitleid haben“) meint hier, dass die Natur auf das Autofahren, das Rad hin ausgerichtet worden ist. Sie ist also unchristlich, ‚mitleidlos’ zugerichtet worden.

v.15 Hauptkreuzung: Nicht nur die Kreuzung zweier wesentlicher Verkehrsadern, sondern auch die Kreuzigung der Natur durch den Menschen

v.15 Birken: Die Birke ist in ihrer mythologische Bedeutung ein „Baum des Schutzes“. Im überlieferten Volksglauben wurden Birken an verkehrsfrequentierten unbeleuchtete Alleenstraßen und uneinsehbare Reisewege gepflanzt, da sie durch ihre helle Rinde bei Dunkelheit gut erkennbar sind und somit die Unfallgefahr durch diese natürliche Eigenschaft verringert werden sollte.

v.16 und mir: ironischer Hinweis auf eine verdeckte Kommunikation: Es scheint, als würden die Freunde auf den Vorwurf des lyrischen Ich reagieren, die Natur zu zerstören, und als Beweis, dass dem nicht so sei, die Birken vorführen.

v.17f: Verändert aufgenommen wird Eichendorffs Gedicht „Abschied“: „Da steht im Wald geschrieben / Ein stilles, ernstes Wort / Von rechtem Tun und Lieben, / Und was des Menschen Hort“ (III,1-4). Bei Eichendorff wird der Wald als numinoser Raum mit der Sprache, die ein Botschaft transportiert, verknüpft; im Isländisch Lied hört der Jetztmensch (v.21) davon nichts mehr, er sieht lediglich Hinweistafeln an Baumstämmen.

v.19 mühsam … / … behindert: Das Ziel der ‚Jetztmenschen’ ist ein von Mühen und Einschränkungen befreites, bequemes Leben. Dass dies auf Kosten der Natur geschieht, zeigt sich in der ‚behinderten’ Syntax der drei Verse 19-21, die nur eine begrenzte Logik des Denkens zulässt. Die umgangssprachliche Wortwahl spiegelt das geringe Reflexionsniveau wider.

v.21 Jetztmensch: Jetztmensch im Kontext der Menschheitsentwicklung die Art Homo sapiens. Der Jetztmensch stellt den »Status quo« der Entwicklung dar und ist seit etwa 10000 J., also seit der letzten Eiszeitperiode im Holozän, die einzige existierende Art der Gattung Homo. Nietzsche gelangt über seinen Ekel am ‚Jetztmenschen’ zur Forderung nach dem ‚Übermenschen’.

v.21 Fahrt: Als ironischen Kommentar hierzu kann man die letzten zwei Verse aus Eichendorffs Gedicht „Frische Fahrt“ verstehen: „Fahre zu! ich mag nicht fragen, / Wo die Fahrt zu Ende geht!“ (II,7-8).

v.22 brettern: umgangssprachlich für ‚rücksichtsloses Fahren’, der Ursprung des Wortes (‚Brett’) verweist auf die gefällten und zerschnittenen Baumstämme. Dazu im Gegensatz steht das heiter, mit dem die ‚Jetztmenschen’ zurückfahren, sie fahren eben nicht ‚zurück zur Natur’ („retour à la nature“ wie das Rousseau-Schlagwort nahe legt).

v.23 unbesorgt um die Uhrzeit: Auf der Realebene müssen die Ausflügler nicht auf die Uhrzeit achten, da die Straßen beleuchtet sind (s. v.23ff und oben zu v.5). Auf der übertragenen Ebene werden die zentralen Begriffe Heideggers ‚Sorge’ und ‚Zeit’ als Grundstrukturen unserer Existenz aufgerufen. Um diese Grundstrukturen kümmern sich die Ausflügler eben nicht.

v.23 Wer … / … / … da droben: Verändert aufgenommen wird Eichendorffs Gedicht „Der Jäger Abschied“: „Wer hat dich, du schöner Wald, / Aufgebaut so hoch da droben?“ (I,1f). Der Schluss dieses Gedichtes („Schirm dich Gott, du schöner Wald!“) steht im Gegensatz zum Verhalten der Isländer.

v.23 mit launigem Wer / … : Syntaktisch ist das Wer zu den folgenden zwei Versen zu ziehen und stellt die Frage nach der Verantwortung des Subjekts für die moderne Zurichtung der Welt. Im Kontrast zum Gedicht von Eichendorff, in dem mit dem „Wer“ Gott gemeint ist, ist hier das Gott und der Natur entfremdete Subjekt angesprochen. Während bei Eichendorff der Wald angeredet wird („dich“, „du“), wird hier alles auf den Nutzen für das verschwenderische Subjekt bezogen (dir, vieltausend Watt).

v.25 aufmontiert: Im Gegensatz zu Eichendorffs „Aufgebaut“, das Gott als Baumeister darstellt, ist mit aufmontiert die Herrschaft der Technik betont und ersetzt damit ‚den da droben’.

v.26 Sonne verblasst: Die Technik stellt hier die Natur in den Schatten. In der Tradition ist die Sonne nicht nur Quelle allen Lebens, sondern auch Symbol für das Gute. In Shakespeares „Romeo und Julia“ weigert sich die Sonne am Ende, das von den Menschen angerichtet Unrecht zu bescheinen („The sun for sorrow will not show his head“ V,305).

v.27f Entrechtet lugt die … / … über den Horizont: Gemeint ist hier, dass in den nördlichen Breiten die Sonne im Winter nur knapp über dem Horizont erscheint. Entrechtet weist daraufhin, dass die Sonne nicht mehr als Zentrum empfunden wird.

v.28 abwartend: Die sonnenlose Winterzeit Islands wird als gottferne Zeit, als ‚Weltennacht’ verstanden, auf die aber, wie abwartend ankündigt, auch wieder eine andere Zeit folgen könnte.

v.29 Groll: Vgl. zu v.26: „The sun for sorrow“

v.30 abgründig vergraben: Metapher für den möglichen Untergang der Kultur. Die herrschende Kultur hat den sie tragenden Grund verloren, sie erscheint deswegen als ‚grundlos’, als abgründig; sie hat sich ihr eigenes Grab geschaufelt.

v.31 Restlicht: zeigt einen schwachen Hoffnungsschimmer auf Erneuerung

v.32 So schlafen sie: Hier kann an die törichten Jungfrauen aus dem Matthäus-Evangelium (Mt. 25, 1-13) gedacht werden, die kein Öl für ihre Lampen mitnahmen, und deswegen das Erscheinen ihres Bräutigams als Anbruch einer neuen Zeit nicht erleben können.

v.32 mehrheitlich: vgl. zu v.3

v.33 wirds ihnen mal heiß: Die Jetztmenschen werden offensichtlich manchmal von einem plötzlichen Erschrecken geweckt, es wird ihnen (zu) heiß, sie werden sich gelegentlich ihres verantwortungslosen Umgangs mit der Natur bewusst.

v.34 keck zwinkernd: Vergleichbar sind Nietzsches ‚letzte Menschen’, die nur noch blinzeln (wenn sie die Sonne, das Göttliche sehen), es fehlt ihnen aber die ‚Keckheit’, die Mutwilligkeit der Isländer.

v.35 herrscht: vgl. zu v.9 dienstbar macht. Hier herrscht bereits die Technik über den Menschen.

v.35 grad: Mitzuhören ist auch ‚Grad’ im Sinne von Temperatur.

v.35 System: vgl. zu v.10

v.36 lockert gekonnt die Ventile: Normalerweise sind in Wärmeleitsystemen Sicherheitsventile (‚Überdruckventile’) eingebaut, die den Druck steuern. Das hier die Ventile von Hand bedient werden, betont die Verantwortung des Menschen für die Technik. Im übertragenen Sinne kann das ‚Lockern der Ventile’ ein Hinweis darauf sein, dass sich die ‚Jetztmenschen’ das Leben leicht machen.

v.37f Wacht … / … auf: Das ‚Aufwachen’ hier ist – im Gegensatz zu den Versen 33ff, in denen der ‚Jetztmensch’ nur aufsteht, um die Temperatur zu regeln – bedeutungsvoll als Anbruch einer neuen Zeit zu verstehen (vgl. zu v.32 So schlafen sie).

v.37 ausgekühlt / ein Herzfreund mir nimmer: Da die ‚Freunde’ des lyrischen Ich als Geothermie-Ingenieure für die falsche Nutzung der Wärme verantwortlich sind, besteht die Gefahr, dass der wahre Freund des Ichs, der Herzfreund nicht ausreichende Zuwendung bekommt (‚auskühlt’). Dass der Freund als Herzfreund bezeichnet wird, zeigt, dass dieser dem zentralen Bereich, dem Numinosen, zugeordnet ist und dass die Gefahr besteht, dass die Beziehung zum Bereich des Numinosen nicht wieder hergestellt werden kann.

v.40ff weiß … / … / … still: : Verändert aufgenommen wird Eichendorffs Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“: „Hör ich das Mühlrad gehen: / Ich weiß nicht, was ich will – / Ich möcht am liebsten sterben, / Da wär’s auf einmal still!“ (V,1-4). Das Mühlrad in Eichendorffs Gedicht entspricht dem ‚kreislaufenden System’ (vgl. auch zu v.10) in diesem Gedicht; beide technischen Systeme versinnbildlichen die Sinnlosigkeit eines Lebens ohne Liebe bzw. Transzendenzbezug.

v.41 in den Abgrund hauchen: Das lyrische Ich möchte eine Wiederbelebung des untergegangenen ‚Herzfreundes’ versuchen (vgl. auch zu v.30 abgründig vergraben).

v.42: Es bleibt in der Schwebe, wessen Atem stillsteht: der des lyrischen Ichs oder der des Freundes. Damit bleibt auch offen, ob das lyrische Ich den Freund bzw. die untergegangene Kultur reanimieren, ihm/ihr eine neue Seele geben kann.
 
 
Aspekte der Form:

Das Gedicht besteht formal aus 5 Versgruppen, die 3 ersten haben jeweils 10 Verse (wenn man die gebrochenen Verse 6 und 7 der 1. Versgruppe zusammenfügt), die beiden letzten Versgruppe lassen sich zu einer Versgruppe mit ebenfalls 10 Versen zusammensetzen (auch hier sind die Verse 39 und 40 als gebrochener Vers zu betrachten). Somit ergeben sich vier Strophen mit jeweils 10 Versen. Die Aufteilung der 4. Versgruppe in 2 Abschnitte spiegelt die unterschiedlichen Inhalte wider (s.o. Überblickskommentar). Die fünf Strophen sind unterschiedlich durch zum Teil offensichtliche, zum Teil aber auch verdeckte Reime bzw. Anklänge an Reime gebunden: (a/b/a/b/x/x/c/d/c/d // e/f/e/x/f/g/h/h/g/h // x/x/x/x/x/x/i/x/x/i // j/k/j/k/j/j/l/m/l/m). Dabei fällt auf, dass die 3. Strophe von Waisen (ungereimte Verse) dominiert ist; dies könnte als Hinweis auf die untergegangene Sonne, die Transzendenzferne verstanden werden.

Die isolierte Stellung des ich und der folgende Versbruch (v.39/40) lassen das lyrische Ich gleichsam am Abgrund der Transzendenzlosigkeit stehen. Im Gegensatz dazu signalisiert der Bruch in v.6/7, dass hier nach dem sie der Bereich der ‚Jetztmenschen’, der Nachbarschaftsplausch, beginnt.

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