Mit doppeltem Bügel

Überblickskommentar:
 
 
Grundgedanke: Das lyrische Ich versucht die Transzendenz – ehemals in Religion und Meditation beheimatet – in der Gegenwart, im Gedicht einzufangen.
 
In Indien versucht man mit Yoga (mit einer Figur, die einer Schlinge ähnelt) sich der Transzendenz zu nähern (VG 1). Der gleiche Versuch wurde einst mit dem Netz desTurmhelms des Freiburger Münsters unternommen (VG 2). Das lyrische Ich nutzt die Feder, die als Fangeisen gesehen wird, um die Transzendenz zu fangen (VG 3). In den eingeschobenen kursiven Versen wird die Transzendenz als Wind (Pneuma) und als Hauch (Seele) charakterisiert, sie wird als Himmliches Kind angeredet, als das das lyrische Ich sich auch empfindet.
 
 
 

MIT DOPPELTEM BÜGEL

 
 
Indien das fern
mit rückwärts-
Beugendem Handgriff zur
Schlinge
Zieht es die Füße
5Hoch über den Kopf
 
Nichts ist der Wind −

 
Freiburg
das einst auf
Tragendem Turmschaft zum
Netz
10Aus Stein durchbrach es das
Pyramidale Maßwerk
 
Nichts ist der Hauch −

 
Hier lässt sich nur
unter der Hand
Zwischen Netz die gespannte
15Feder
Und Schlinge jetzt noch als
Fangeisen versuchen
 
Himmlisches Kind −

Ich bin es auch −
 
 
Stellenkommentar:

Titel: Angespielt wird auf das in v.17 genannte Fangeisen, das aus zwei Bügeln besteht. Die beiden Bügel könnten symbolisch für Meditation und Religion stehen, die vereint das Fangeisen, das Gedicht darstellen.

v.1ff: Beschrieben wird die Yoga-Figur „Dhanurasana“ (der Bogen), bei der in der Bauchlage die Füße mit den Händen über den Kopf gezogen werden und so zur Schlinge geschlossen werden.

v.6: Traditioneller Weise wird die Transzendenz als Wind, als Pneuma bezeichnet. Sie ist das Nicht-Sichtbare, das Nichts.

v.7ff Das Freiburger Münster hat als Turmhaube eine Pyramide, die aus filigranem Maßwerk besteht. Dieses Maßwerk ähnelt einem Netz.

v.12 Der Hauch, der Atem, kann als Seele aufgefasst werden.

v.13ff Die das Fangeisen auslösende Feder entspricht der Feder-führende Hand des lyrischen Ich. Dieses entwirft das Gedicht (Fangeisen) als Versuch, zwischen Religion (Netz) und Meditation (Schlinge) die Transzendenz einzufangen.

v.18f Das lyrische Ich redet die Transzendenz als Himmlisches Kind an (Vgl. auch „Hänsel und Gretel“: „Der Wind, der Wind / das himmlische Kind“) und bezeichnet sich selbst auch als Kind des Himmels, das mit dem Atem beseelt ward.
 
 
Aspekte der Form:

Gereimt sind nur die Kursiva (a/b/a/b). Auffällig hier ist der reine Reim, der das Bedürfnis des lyrischen Ich nach der Transzendenz zeigt.

Dies Reimschema gilt für fast alle ein-seitigen Gedichte dieses Zyklus‘.